Hauptseite.Archiv                      PageAutor: Pfarrer Zillmann    (18.09.2012)

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 Predigten und Andachten  2012

Inhalt

Predigt - Kain und Abel  (1 Mose 4,1-16) 02.09.12 Pn. Orland
Predigt - Der Geist der Wahrheit - Pflichtenkollision  (Joh 7,37-39) 20.05.12 Pfr. Zillmann
Predigt - 40 Jahre Kirche ohne Wandel  (Am 5,21-24) 19.02.12 Pfr. Zillmann


weitere Predigten im Archiv
(Hinweis: Die Predigten sind teilweise geschrieben wie vorgetragen. Es gilt das gesprochene Wort)

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  Predigt - Kain und Abel  (1 Mose 4,1-16) 02.09.12 Pn. Orland

13. Sonntag nach Trinitatis, 2. September 2012, Reihe IV, Am Seggeluchbecken

Liebe Gemeinde! Vor etwa fünf Wochen erzählte mir eine Bekannte begeistert von einer Theateraufführung. Da hätte ich etwas verpasst! Das Thema des Stückes kommt aus der Bibel. Die Gruppe spielte im Freilufttheater und es war ziemlich schwierig an die Karten zu kommen.

Tatsächlich! Ich habe nachgelesen: „Aufgrund des außergewöhnlichen Spielortes ist der Besuch dieser Veranstaltungen nur im Vorverkauf mit vorheriger persönlicher Anmeldung möglich. Hierbei müssen beim Kartenerwerb an der Kasse der Volksbühne die Personalien angegeben werden: Name, Vorname, Geburtsdatum und Meldeadresse. Die Karten sind somit personengebunden und nicht übertragbar.  Der Einlass am Tag der Vorstellung erfolgt nur nach Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Wertgegenstände wie Handys, Schlüssel, Geld, Kreditkarten usw. sowie Nahrungsmittel dürfen nicht mitgebracht werden. Hierfür stehen am Torbereich Schließfächer zur Verfügung.“

Liebe Gemeinde!
Was ist das für ein merkwürdiger Spielort? Findet das Theaterstück im Garten eines Botschaftsgebäudes statt oder liegt die Bühne in der Nähe des Bundeskanzleramtes?

Viele biblischen Geschichten drängen geradezu in unseren Alltag. Sie nehmen Platz auf unseren Straßen, in unseren Häusern und Familien oder warten schon auf uns am Arbeitsplatz. So geht es auch mit dem Gleichnis von Jesus: der barmherzige Samariter. Wer unsere Zeitungen aufschlägt, der glaubt, der Überfall habe sich nicht auf der Straße von Jerusalem nach Jericho, sondern in der Beckerstrasse in Friedenau zugetragen. Hier ist vor wenigen Tagen ein Rabbiner angegriffen worden.

Unser heutiger Predigttext steht im 1. Teil der Bibel-den wir das „Alte Testament“ nennen und zwar in den Versen 1-16 des 4. Kapitels. Hören wir zuerst einige Worte aus diesem „Bibelstück“:

Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Lass uns aufs Feld gehen!
Wo ist dein Bruder Abel?  Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?
Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.
Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.
Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden.
Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.  So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN.

Liebe Gemeinde!
Wo ist Kain hingegangen? Wo ist er heute? Lautet die Frage aus dem Alten Testament heute vielleicht „
Wo ist dein Bruder Kain?  Wäre unsere Antwort dann: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?

Hören wir den Predigttext aus dem 1. Buch Moses Kapitel 4
1. Mose 4, 1-16
Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.

8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN.


Liebe Gemeinde, Eine düstere Szene! Mord und Totschlag – das möchten wir nicht in unseren Alltag hineinlassen. Schon gar nicht in einen Sonntag! Es ist ja auch für die meisten von uns kein alltägliches Erlebnis. In den 70-er Jahren gab es einen Slogan:“Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.“ Das klang schon damals naiv- aber für viele gut. „Stell dir vor, wir haben Besseres zu tun, als uns zu bekriegen und auf einander loszugehen!

Aber: Geht das so einfach? Können wir das Böse aussperren? Können wir einfach zu Hause bleiben? Warum mutet uns die Predigtordnung solch eine düstere Szene ausgerechnet am Sonntagmorgen zu?

Die Erzählung provoziert bis heute! Kommen wir zurück zu unserem Freilufttheater! Es fand auf dem Hof der Justizvollzugsanstalt Tegel statt. „Sehr geehrte Damen und Herren, liebes Publikum“, heißt es in der Einladung. „Wir laden Sie ganz herzlich ein zu unserer neuen Produktion auf dem Freistundenhof der JVA Tegel, wo sich das Gefangenenensemble diesen Sommer einem Fall aus dem Alten Testament widmet: dem Brudermord von Kain an Abel. Die möglichen Ursachen, nämlich Zurückweisung, Neid, Eifersucht oder Besitzanspruch finden sich auch in den Lebensgeschichten und in den Erfahrungen unserer Darsteller wieder. Und wir meinen: Das erste Verbrechen der Menschheit und seine Bestrafung waren notwendig für die Begründung des Wertekanons unserer Gesellschaft.“

Liebe Gemeinde,  „Stell dir vor es gibt Gewalt und keiner geht hin!“ ist kein gutes Lebensmotto. Denn es gibt Gewalt. Was denken wir darüber? Was tun wir?

Ich verstehe den Predigttext eher unter einem anderen Spruch – den finde ich viel besser:  „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“.

Liebe Gemeinde! Die Geschichte von Kain und Abel bringt den Gedanken ins Spiel: Zum Menschsein gehört der Bruder, die Schwester, allgemein gesagt: der Mitmensch. Aber: Sobald ein Bruder da ist, gehört nicht mehr alles mir allein; ich muss teilen. Der Bruder ist der Andere, er wird zum Rivalen und Konkurrenten. Er wird nicht  immer als Bereicherung und Ergänzung erlebt, sondern als Einschränkung und Bedrohung erfahren.

Das beginnt im Kinderzimmer. Der Eine hat Erfolg, findet Anerkennung. Alles gelingt ihm, alles fällt ihm leicht. Die Leute haben ihn gern. Er kommt vorwärts im Leben.  Der Andere bleibt zurück. Erfolg und Anerkennung bleiben ihm versagt. Er kann sich nicht durchsetzen.  Wen kann es da wundern, wenn er bitter wird, die Faust in der Hosentasche macht und dem geschickteren Bruder nicht mehr offen ins Gesicht blickt.

Dieses Gefühl kennen nicht nur die Gefangenen in Tegel, nein, dieses Gefühl gehört auch zum Alltag der Bediensteten- die Schließer und Sozialarbeiter, das technische Personal und vor allem die Gefängnispfarrer: sie alle dürfen dem Bösen in uns Menschen nicht ausweichen.

Die Geschichte von Kain und Abel erzählt von der Grunderfahrung, dass Menschsein Bruder-Sein ist, und dass dieses Bruder-Sein nicht nur als Chance und Hilfe erfahren wird, sondern als Rivalität. Mit der Gewalt setzt sich unsere Geschichte auseinander. Gewalt schlägt zurück auf den, von dem sie ausgeht. Wer zum Mittel der Gewalt greift, der hat die Angst heraufbeschworen. Die Erde, getränkt mit dem Blut des Bruders, kann nicht mehr Heimat sein. Eine Tat belastet den Täter sein Leben lang und zeichnet ihre eigenen Spuren. Das Problem ist nicht aus der Welt – nein-es ist in der Welt. Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick?

Gott hat sich dem Kain schon vor seiner Tat zugewendet. Er will ihn aufrichten. Er schildert ihm: das Böse lauert wie ein Raubtier-es liegt wie der Löwe vor deiner Tür. Wenn du dir mit deinem Grimm nicht helfen lassen willst, dann springt das Raubtier dich an: „Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie.“

Kain lehnt ab. Er löst sein Problem mit Gewalt – und löst es gerade nicht! Nun wird es ihm sein Leben lang nachlaufen. Gott hat ihm Hilfe angeboten – er hat abgelehnt. Doch er wird weiter begleitet – begleitet in seiner Unruhe. Gott lässt ihn nicht allein. Aber er bringt auch nicht zurecht, was Kain angerichtet hat. Er verspricht ihm ein Schutzzeichen.

Welches Zeichen hat er auf der Stirn?  Wenn wir uns also fragen, was denn Gott für ein Zeichen an Kain gemacht hätte, dann ist die Antwort: er hat immer dann ein Zeichen getan, eine göttliche Tat, eine Bewahrung des Lebens, wenn Kain in Lebensgefahr geriet.

Für uns Christen ist das Zeichen ein Kreuz! Es sagt: Dein Bruder steht unter dem Schutz-Zeichen des Kreuzes, egal was er sich hat zu Schulden kommen lassen.

Lied von Arno Pötzsch

Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand,
die er zum Heil uns allen barmherzig ausgespannt.

Es münden alle Pfade durch Schicksal, Schuld und Tod
doch ein in Gottes Gnade trotz aller unserer Not.

Wir sind von Gott umgeben auch hier in Raum und Zeit
und werden in ihm leben und sein in Ewigkeit.

AMEN



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  Predigt - Der Geist der Wahrheit - Pflichtenkollision  (Joh 7,37-39) 20.05.12 Pfr. Zillmann

Joh 7,37-39 Jesus trat vor die Menge und rief: »Wer durstig ist, soll zu mir kommen und trinken - jeder, der mir vertraut! Denn in den Heiligen Schriften heißt es: 'Aus seinem Innern wird lebendiges Wasser strömen.'«
39 Jesus meinte damit den Geist Gottes, den die erhalten sollten, die ihn im Glauben annehmen.

 Und zu diesem Geist heißt es dann im 14 Kapitel des Johannesevangelium: Joh 14,15-17
15 »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. 16 Und ich werde den Vater bitten, daß er euch an meiner Stelle einen anderen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt, 17 den Geist der Wahrheit. Die Welt kann ihn nicht bekommen, weil sie ihn nicht sehen kann und nichts von ihm versteht. Aber ihr kennt ihn, denn er wird bei euch bleiben und in euch leben.

Nun liebe Gemeinde, Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern; von Freunden, die lange mit ihm zusammen waren, denen er Lebenshilfe war, denen er Mut und Kraft gab. Ein endgültiger Abschied ist das aber nicht, das sagt er gleich dazu:  "Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein, sondern werde zu euch zurückkommen." Und er verspricht darüber hinaus noch mehr, er sagt: "Ihr werdet einen Stellvertreter für mich haben, den Geist der Wahrheit, der für immer  bei euch bleibt."

Geist der Wahrheit, heiliger Geist, ein Geist, der uns Menschen heil macht, zurechtrücken kann, ein Geist, der  uns leitet, der uns bei schwierigen Entscheidungen sagt, wo es lang geht.

Aber können wir das, was Jesus seinen Jüngern als Helfer ankündigt, auch als Hilfe annehmen? Oder haben wir nicht oft genug Schwierigkeiten mit dem heiligen Geist, den Kinder manchmal mit einem Gespenst verwechseln, Paraklet heißt dieser Helfer bei Johannes, Geist der Wahrheit oder heiliger Geist eben.

Aber nicht sein Name ist wichtig, sondern das was er tun will und tun kann. Aber was ist das? Spüren wir nicht oft die Geistlosigkeit von Zuständen. Spüren wir nicht oft unsere Hilflosigkeit, in den kleinen und in den großen Dingen der Welt?

In Friedensgebeten dieser Wochen heißt es dann: 'Herr, schicke uns deinen Geist, damit die richtigen Wege gefunden werden, um den Krieg in Afghanistan, Syrien etc. zu beenden.' Aber da wird es schon schwierig. Allgemein in den Wind geredet ist ja alles einfach und klar, aber wenn es nun mal wirklich konkret wird, wenn es ernst wird mit der Wahrheitsfindung, was dann? Wo ist der Geist der Wahrheit?

Eine Geschichte möchte ich Ihnen erzählen, die mir eine Frau aus meiner ersten Gemeinde anvertraut hatte. Diese Geschichte belastete sie ihr Leben lang, diese Geschichte trug sie wie einen schweren Stein auf ihrem Herzen, auf ihrer Seele. Es ist die Frage nach Gott, der weit weg ist, es ist die Frage nach dem Geist, der uns bei unseren Entscheidungen leitet.

Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges, als die Alliierten Truppen schon immer weiter ins Deutsche Reich hineinmarschierten und Gebiet um Gebiet eroberten, beschloß man die Häftlinge aus den Konzentrationslagern bei Berlin an die Ostsee zu deportieren. Dort sollten sie auf Schiffe verladen werden und diese Schiffe wollte man dann auf hoher See versenken. Die Häftlinge wären beseitigt gewesen und man hätte ein Problem weniger gehabt.

Diese Marschkolonnen der Häftlinge, viele Tausende waren es, zogen nun gegen Norden und kamen dabei durch etliche Dörfer hindurch. Die Gedenksteine an diese Todesmärsche kann man in unseren Dörfern noch finden. Man übersieht sie meistens, aber viele sind noch da und erinnern an eine schreckliche Vergangenheit.

Es kam vor, daß bei günstigen Gelegenheiten, meistens in der Dunkelheit, Häftlinge aus der Kolonne entfliehen wollten. Die wenigsten konnten den Hunden und den Wachsoldaten  entkommen und wurden dann auf der Stelle gleich erschossen. Aber einige schafften es.

Solch ein Flüchtling klopfte nun an ein abseits gelegenes Bauernhaus, eben an das Haus der Frau, die mir ihre Geschichte erzählte. Die Bäuerin war mit ihren vier Kindern alleine, der Mann war als Soldat an der Front.
Es klopften in dieser Zeit oftmals Menschen, Flüchtlinge, Vertriebene aus den Ostgebieten, an ihre Tür. Gern half die Bäuerin nicht. Es waren Fremde und sie hatte selber wenig genug und außerdem, war sie ja an diesem Krieg nicht Schuld. Aber viele ließ sie in der Scheune übernachten, eine kleine Hilfe, mehr konnte sie und mehr wollte sie auch nicht tun.

Da war nun aber dieser Häftling aus dem KZ, der in der Dunkelheit klopfte. Draußen regnete es in Strippen und die Bäuerin hätte diesem Mann auch sicher nicht die Tür geöffnet, wenn sie vorher bemerkt hätte, daß er ein entflohener Häftling war. Aber nun stand er schon drin in der Küche, ein Bild des Elends, Haut und Knochen, zerlumpt mit einem völlig blutdurchträngten Hemdsärmel.

Das war es auch, weshalb der Mann klopfte, in dieser gefährlichen Gegend. Die Schußwunde machte ihm zu schaffen. Er hatte viel Blut verloren und wenn er nicht von anderen Menschen Hilfe bekam, dann war er sowieso verloren. Viel erklären konnte er aber nicht. Er brach vor Schwäche zusammen, blieb als ein Haufen Knochen vor der Frau liegen und rührte sich nicht mehr.

Damit ist eigentlich nun schon alles geschildert um was es geht. Dieses Problem, das da auf dem steinernen Küchenboden lag, dieser blutverschmierte Lumpen war ein Mensch. Die Bäuerin wollte es sich zwar zuerst nicht eingestehen, aber da es leise stöhnte und wimmerte, konnte sie nicht drum herum, dieses Problem war ein menschliches Problem.

Daß es gerade hier in ihrer Küche auftauchte, machte sie vorerst sprachlos. Einen KZ Häftling hatte sie noch nie vom nahen gesehen. Sie wußte nur das eine, hier liegen bleiben konnte er nicht.

Und plötzlich bekam sie Angst. Dieser Mann war kein üblicher Flüchtling, wo man so einfach helfen konnte, wo es gewissermaßen Pflicht war. Dieser Mann war eine Gefahr. Vielleicht hatten die Hunde der Wachmannschaft schon die Fährte aufgenommen. Vielleicht hatte der Regen auch die Spur verwischt. Vielleicht würde im nächsten Moment ihr Nachbar vorbeikommen, spät war es noch nicht, oder vielleicht würde der Häftling auch verbluten, wenn sie ihm nicht half.

Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Alles war möglich. Hier ging es nicht mehr um ein Nachtquartier in der Scheune oder um ein paar Kartoffeln, hier ging es um Leben und Tod. Die Frau schlug die Hände zusammen: "Mein Gott, was nun?" Es war ein kurzes Gebet, aber es war alles gesagt,  "Mein Gott, was nun?"

Denn wie sie sich auch entscheiden würde, helfen oder ausliefern, es war garantiert falsch. Das hatte sie begriffen und die Entscheidung lag ganz bei ihr, eine Entscheidung über Leben und Tod mußte sie nun treffen eine Entscheidung, die ihr niemand abnahm. Der Ehemann war nicht da, sie dachte an die schlafenden Kinder, hatte Angst vor der Polizei und sah, bei all diesen blitzartigen Gedanken, diesen elenden Menschen vor sich liegen, diesen Menschen der Hilfe brauchte.

Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst, dieses Jesuswort kam ihr in den Sinn und die Bäuerin wußte, daß sie sich nun schuldig machen würde, wenn sie diesen Verwundeten nicht helfen würde. Aber ein anderer Spruch aus der Bibel war ihr auch geläufig,

Jedermann soll sich denen unterordnen, die die Regierungsgewalt ausüben, denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott kommt. Sie machte sich also auch schuldig, wenn sie dem Mann hilft. Sie denkt an ihre Kinder, die ohne die Mutter nicht auskommen könnten, wenn die SS sie verhaften würde.

Die Frau hat furchtbare Angst, merkt aber plötzlich, daß sie nicht vor dem Häftling oder vor der Staatspolizei Furcht bekommt, sondern daß sie sich vor sich selber fürchtet.

Da merkt sie diesen luftleeren Raum, wo sie keinen Halt findet. Da spürt sie die Kälte dieser grausamen Welt. In ihr selber ist es nun leer und alles wird ausgefüllt von Angst - von der Angst, die sie vor sich selber hat. Sie hat eine Entscheidung zu treffen und weiß, daß sie sich auf die eine oder andere Art schuldig macht.

Das Leben kann schön sein, wenn alles in den geregelten Bahnen verläuft. Bisher war es so gewesen und die Bäuerin hatte auch nie einen Mangel empfunden, alles ließ sich regeln. Schwierigkeiten konnte man meistern und bei den sonntäglichen Gottesdienstbesuchen hatte sie sich daran gewöhnt, daß Jesus Christus eigentlich weit weg war, daß man in einem gewissermaßen nachchristlichen Zeitalter lebte, zwar mit der Kirche im Dorfe, aber einer irgendwie geistlosen Kirche.

Daran hatte sie sich gewöhnt, an diesen Gott außerhalb ihrer Welt, genauso wie an die Lebensmittelkarten der letzten Jahre. Sie hatte im Stillen Abschied genommen, so wie damals die Jünger im Garten Getsemane Abschied nahmen und sie hatte Jesus nie vermißt.

Jetzt, an diesem verregneten und dunklen Abend vor dem Ende des Krieges, wo sie alleine dastand in ihrer menschenleeren Angst, da kam sie sich vor, wie ein Waisenkind, das zurückgelassen wurde. Das Leben war ihr fremd geworden, um sie herum war das Reich der Toten angebrochen.

Unfähig zu einer eindeutigen Entscheidung, nahm sie den Häftling, verband ihm provisorisch die Wunde, und schleppte ihn, 6o Pfund schwer, wie er war, in die Scheune. Wenn man ihn dort fand, konnte sie sich herausreden. Am nächsten Morgen wollte sie dann weitersehen.  -  Aber als sie nach Sonnenaufgang in die Scheune kam, da war der Mann glücklicherweise nicht mehr da.

Was von dieser schlaflosen Nacht über 40 Jahre lang übrigblieb, das war das Gefühl der schrecklichen Angst, diese Leere und Verlassenheit in ihr, dieses kurze Gebet: "Mein Gott, was nun?"  Die Frau hatte sich daran gewöhnt, daß Christus scheinbar nicht in dieser Welt ist und sie hatte in dieser Nacht erlebt, daß das für sie zu einer gefährlichen Gewohnheit geworden war.

Was von dieser Nacht übrigblieb, über die Angst hinweg und durch sie hindurch, das wußte sie nun, das war der Geist der Wahrheit, den sie in dieser Angst, in dieser Nacht vermißte, der aber doch irgendwie da war, wie sie beim Erzählen sagte, - hinterher 40 Jahre später.

Jesus sagt: 15 »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. 16 Und ich werde den Vater bitten, daß er euch an meiner Stelle einen anderen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt, 17 den Geist der Wahrheit.

Liebe Gemeinde,  zurück zur Gegenwart und das abschließend gesagt. Was richtig und falsch ist, und wo die Wahrheit liegt, entscheidet sich immer in ganz konkreten Lebenssituationen.

Es gibt Pflichtenkollisionen, so sagt es die Ethik. Und wenn zwei verschiedene Pflichten aufeinanderstoßen, dann ist man sprachlos und hilflos, denn was man auch macht, es wird garantiert falsch sein.

Der Krieg in Afghanistanoder oder in Syrien  oder sonst wo ist weit weg und keiner von uns ist   hier und jetzt zum  Handeln gezwungen. Wir schalten den Fernseher aus und der Krieg ist vorbei. Aber es bleibt das bittere Gefühl, sprachlos und ohnmächtig zu sein. Müßten wir nicht wenigsten eine Meinung haben, eine Meinung, die moralisch richtig ist?

Soll man nun Bomben schmeißen oder nicht, soll man zusehen, wie Menschen vertrieben und ermordet werden? Eine Entscheidung für oder wider wird immer falsch sein und wird immer theoretisch bleiben und wird immer tragisch sein.

"Mein Gott, was nun?" das hat mir die Geschichte von der Frau und dem KZ Häftling gezeigt: Es gibt geistlose Zustände, die plötzlich ganz konkret werden können, die in unser Leben hineintreten und dann eine Entscheidung verlangen.

Und genau in dem Augenblick sind wir überfordert und genau für diesen Augenblick, sagt Jesus, ich schicke euch meinen Geist, der steht euch bei, auch wenn ihr das Falsche tun müßt.

Ein Weg der mit Leichen gepflastert ist kann nicht Jesu Weg sein, das ist eine christlich Binsenweisheit, aber es ist auch eine christliche Weisheit, daß wir allzumal schuldig werden und mit dieser Schuld dann bitten, und wir diese Schuld auch erkennen: "Mein Gott, was nun? Schicke uns deinen Geist, den Geist der Wahrheit," und nur dieser Geist wird uns frei machen und vielleicht, aber nur vielleicht, wendet sich am nächsten Morgen alles zum Guten.

Und so sagt dann Jesus zum Schluß und uns zum Trost: "Vater vergibt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Liebe Gemeinde,  Wahrheit ist immer ganz konkret, wie in dieser Geschichte, die diese Frau erlebte - Wahrheit ist immer konkret und spielt sich nicht im Fernseher ab.Und der Geist der Wahrheit ist auch immer ganz konkret. Wir können ihn nicht festhalten, sondern er weht wo er will. Hoffen können wir nur, daß er im richtigen Augenblick da ist, und darauf sollten wir vertrauen und daß von Ewigkeit zu Ewigkeit.

AMEN


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  Predigt - 40 Jahre Kirche ohne Wandel  (Amos 5,21-24 (27)) 19.02.12 Pfr. Zillmann

Liebe Gemeinde,

Jubiläen sind immer ein guter Anlass, in die Geschichte zu blicken. 40 Jahre Kirche am Seggeluchbecken sind zwar keine lange Zeit, aber die Zahl vierzig hat doch etwas schönes, sie ist biblisch autorisiert, und somit wert, betrachtet zu werden.

Als ich den Predigttext für den heutigen Sonntag lass, da hatte ich allerdings einen kleinen Schreck bekommen. Der Prophet  Amos  ist nämlich angesagt. Dieser Prophet kritisiert vehement die religiösen und damit auch die politischen Zustände seiner Zeit. 2700 Jahre ist das jetzt her. Seine Schriften sind wohl die ältesten und echtesten Prophetenschriften, die so überliefert sind.

Nachdem er in den ersten Kapiteln über die Mächtigen seiner Zeit herzieht, sagt er dann im 5. Kapitel:

„So spricht der HERR, der Gott Zebaoth heißt:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.
Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Aber,   es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Und weiter geht es dann:
25 Habt ihr in der Wüste    mir    in den vierzig Jahren Opfer gebracht?
Nein,    ihr habt die heidnischen Götterbilder verehrt, die ihr euch selber gemacht habt
27 so will ich euch wegführen lassen bis jenseits von Damaskus, spricht der HERR, der Gott Zebaoth heißt.“

Liebe Gemeinde, der Prophet Amos ist ein soziales Urgestein. Seine Kritik am Kult und seine Kritik an der ganzen Gesellschaft haben viele Menschen zum Vorbild genommen – bis in unsere heutige Zeit hinein. Amos ist ein Mann, der wohl aus kleinen Verhältnissen kommt - ein Hirt, ein Viehzüchter vom Lande. Das Leben in der Stadt versteht er nicht, dieses Leben verachtet er. Der Fortschritt und der neue Wohlstand der Stadtbevölkerung  -  das ist alles unheimlich und zerrüttet die alten Traditionen.

Und so sind seine Sprüche so richtig kernig, passen eigentlich in jede Zeit:
Die da oben, die Herrschenden „Sie achten kein Recht, spricht der HERR; sie sammeln Schätze von Frevel und Raub in ihren Palästen.“ Sie verringern das Maß, die Waage fälschen sie;   die Preise steigern,  die Steuern erhöhen sie; Die Armen werden unterdrücken.„Doch Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Das ist ein Wunsch, der aus dem Herzen kommt. Er hat wohl zu allen Zeiten, Mut und Zuversicht gespendet. Das ist so ein Bibelspruch - ich kenne ihn z. B. noch aus der Friedensbewegung recht gut - Das ist so ein Bibelspruch, der Hoffnung geben will.
 
Das Schema ist dabei immer das gleiche und der Prophet Amos hat es gewissermaßen erfunden. Die Kritik geht so:
Eine Krise jagt die andere, die da oben machen mit uns, was sie wollen, früher war alles besser
und wenn das so weiter geht, nimmt es ein schlimmes Ende.


Das beunruhigt natürlich, und meistens ist es die Unruhe der Jugend, die den Stein ins Rollen bringt, das beunruhigt, man muss also etwas verändern. Man muss die Zeichen der Zeit erkennen.

Als unsere Kirche geplant und gebaut wurde, waren die Verhältnisse auch unruhig. Es war die sogenannte Zeit der „Achtundsechziger“, so kann man es jedenfalls im Nachhinein betrachten. Mit diesem Begriff ist ja eine ganze Einstellung, eine Stimmungslage bezeichnet, die auch sehr unterschiedlich war genommen wurde, je nach dem auf welche Seite man sich damals stellte. Viele Entwicklungen in unserer Gemeinde sind erst in diesem und aus diesem Kontext der damaligen Zeit zu verstehen.

Im Archiv fand ich mehrere Fotos mit interessanten Persönlichkeiten. Die Grundsteinlegung nahm 1969 Generalsuperintendent Hans-Martin Helbich vor und bei der Einweihung der Kirche im Jahre 1972 predigte im Gottesdienst Bischof Kurt Scharf. (Sie finden die Bilder in der Ausstellung) In beiden Personen sind die widersprüchlichen Entwicklungen dieser Zeitepoche gut zu erkennen. Der eine konservativ und traditionell und der andere gesellschaftlich und politisch auch mal auf Konfrontation eingestellt.

Kirche wollte in der Nachkriegszeit andere Wege gehen. Unter den schwarzen Talaren sollte nicht der Muff von tausend Jahren stecken, Man baute nicht mehr einfache Kultgebäude für Gottesdienste, sondern man sah sich der Welt verpflichtet und errichtete nun Gemeindezentren oder Familienzentren. Durch gesellschaftliches Engagement, von der Wiege bis zur Bahre, sollte der Mensch nicht nur religiös, sondern zugleich auch sozial betreut werden.

Das Märkische Viertel war die ideale Spielwiese dafür. Kindergarten, medizinische und diakonische Betreuung, Armenfürsorge, Beratungen und Bürgerinitiativen, Kreise und Gemeinschaften, das alles sollte begleitet sein vom Gottesdienst, sollte selbst wahrer und richtiger Gottesdienst sein. So sollte Kirche der Zukunft aussehen.

Also nicht nur von der Kanzel aus meckern, über die sogenannte böse Welt, sondern auch kräftig mit anpacken, und mithelfen, sie zu verändern. Das ist ja auch das, was der Amos wollte: Ich mag eure Versammlungen und Gottesdienste nicht mehr riechen, meint er. Wasser predigen und Wein saufen war nicht sein Ding. Wahrer Gottesdienst ist, wenn das Recht wie Wasser Ströme und für die Gerechtigkeit eingetreten wird.

Liebe Gemeinde, ein Gemeindezentrum ist also nicht nur eine Kirche, sondern auch gleichzeitig ein Kirchenkonzept. Ob dieses Konzept so aufgegangen ist oder wieder nur eines von den vielen heidnischen Götterbildern darstellt, wie der Prophet ja ausdrücklich warnt, das möchte ich jetzt nicht beurteilen.

Als Bischof Kurt Scharf damals hier die Predigt zur Einweihung hielt, fing ich gerade mit dem Theologiestudium an. Ich war auch begeistert von den neuen Wegen, sah schon eine Kultreform wie in prophetischen Zeiten ausbrechen. Der Prophet Amos war einer meiner Lieblingspropheten. Jedoch,  mittlerweile tritt die Ernüchterung ein. Zahlen und Fakten sprechen eben eine andere Sprache und die neuen Wege erscheinen wieder mal nur als die ausgetretenen Pfade    der ewigen Weltverbesserer.

Das ist jetzt nicht pessimistisch zu verstehen, sondern es soll heißen:
In den 40 Jahren ist hier bei uns eigentlich nichts Umwerfendes passiert.  Es gab keinen Krieg, es gab keine Inflation, es gab keine Seuchen und es gab keine Naturkatastrophen. Und es gab auch keine Kultreform. Die Kirche steht noch genauso da, wie sie gebaut wurde, lediglich der Putz fängt an zu bröckeln.

Als wir in den vergangenen Wochen hunderte von Bildern und Berichte aus Zeitungen und Chroniken gelesen haben, weil wir ja diese kleine Ausstellung unter der Empore zusammenstellten, da sind wir schon ins Grübeln und auch ins Staunen gekommen. Viele Menschen haben hier gewirkt, haben hier gearbeitet und gelebt, wurden betreut und umsorgt, es wurde gefeiert, gesungen und gebetet. Viele sind bereits verstorben, viele leben, viele werden noch kommen.

Und deshalb soll abschließend gesagt sein:
Es ist eigentlich egal, ob irgendein Konzept aufgegangen ist oder nicht. Die Gemeinschaft dieser vielen Menschen über die Zeiten hinweg, auch wenn es bloß vierzig Jahre sind, diese Gemeinschaft hat bestanden und hat dieses Gebäude mit Leben gefüllt und wird es auch in Zukunft tun.

Anders als so manche Meckerer und Miesmacher unserer Zeit    hat die Kritik des Propheten Amos optimistisch in die Zukunft geschaut.

9.13 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass man zugleich ackern und ernten, zugleich keltern und säen wird. Und die Berge werden von süßem Wein triefen, und alle Hügel werden fruchtbar sein. 14 Dann werde ich für mein Volk alles wieder zum Guten wenden. 

Diese Zuversicht sollten wir uns nicht nehmen lassen und das von Ewigkeit zu Ewigkeit   AMEN



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